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Die freiheitliche demokratische Grundordnung


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Rezension von

Dr. Sebastian Felz

Die freiheitliche demokratische Grundordnung Worum kämpft die wehrhafte Verfassung?“, fragt in der Januarausgabe der Zeitschrift „Die Öffentliche Verwaltung“ (S. 65) der wissenschaftliche Mitarbeiter Felix Thrun aus Köln. Dieses Grundprinzip der Bundesrepublik Deutschland wurde 1952 wirkmächtig vom Bundesverfassungsgericht im zweiten Leitsatz seines Urteils zum Verbot der „Sozialistischen Reichspartei“ (BVerfGE 2, 1) wie folgt definiert: „Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“. Das Bundesverfassungsgericht sieht in seiner Entscheidung zum Verbot der NPD von 17. Januar 2017 (BVerfGE 144, 20, Rn. 538 ff.) die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Erweiterung seiner bisherigen Rechtsprechung insbesondere durch die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip geprägt. Mit den Schwertern des Vereinsverbots (Art. 9 Abs. 2 GG), der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG) sowie des Parteiverbotes (Art. 21 Abs. 2 GG) kann die FDGO verteidigt werden. Es erscheine, so Thrun, zunächst paradox, dass die „verteidigten Rechtsgüter zum Zweck ihres Schutzes beschnitten werden müssten“ (S. 68), aber „hinter dem Paradox“, so Thrun, stehe keine „echte Unvereinbarkeit“. Häufig müssten Rechtsgüter zu ihrem Schutz beeinträchtigt werden. Diese These stellt Sarah Schulz in ihrer politikwissenschaftlichen Dissertation in Frage. Sie untersucht den juristischen Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aus einer anderen Perspektive. Die bisherige rechtswissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Begrifflichkeit habe die juristische Dogmatik, die Entstehung im verfassungsgebenden Prozess oder die praktische Anwendung untersucht, so die Autorin, während die Geschichtswissenschaft, insbesondere geschichtspolitischen Folgerungen aus dem Untergang der Weimarer Republik sowie die Entwicklung des Staatsschutzes Deutschland analysiert habe. Schulz möchte mit ihrer Arbeit diese politikwissenschaftlichen Untersuchungsansätze sowie staatstheoretischen und ideengeschichtlichen Überlegungen zugunsten einer Sichtweise überwinden, welche die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. „wehrhafte Demokratie“ als Verbindung des politischen Strafrechts mit einer materialen Rechtsstaatskonzeption auffasst. Mit Karl Marx, Johannes Agnoli, Louis Althusser, Antonio Gramsci, Herbert Marcuse und Ingeborg Maus wendet sich die Autorin in einer Fundamentalkritik gegen die „ideologischen und repressiven Mechanismen“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für Sarah Schulz ist die „fdGO“ ein konstruierter, angeblich universeller Begriff, der von seinen historischen Entstehungsbedingungen abstrahiert worden ist. Die Exekutive nutze ihn zur Beschränkung demokratischer Betätigung. Zur Munitionierung dieser Generalkritik beschäftigt sich Sarah Schulz mit den Faktoren, die zum Untergang der Weimarer Republik geführt haben sowie deren Deutung in der Bundesrepublik als angebliches Scheitern der ersten deutschen Republik von Weimar durch den staatsrechtlichen Positivismus und eine vermeintliche „Wehrlosigkeit“ gegenüber dem Nationalsozialismus, die als Kontrastfolie zur Legitimation der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verwendet wird. Sie wertet die Diskussion der verfassungsgebenden Versammlung sowie der Beratungen über das erste Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 aus. Des Weiteren untersucht sie die bundesrepublikanische Rechtsprechung, insbesondere die Urteile des Bundesverfassungsgerichts in den Parteiverbotsverfahren gegen die „Sozialistische Reichspartei“, die „Kommunistische Partei Deutschlands“ und die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ in den Jahren 1952, 1956 bzw. 2017 sowie die einschlägige Kommentarliteratur zum Grundgesetz. Auch das Beamten- und Ausländerrecht werden in Hinblick auf die praktische Anwendung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung beleuchtet. Für Sarah Schulz ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung ein Paradox, das in unvereinbarer Weise durch eine „materiale Rechtsstaatsauffassung“ zu einer „exekutiven Kompetenzerweiterung“, insbesondere der Verfassungsschutzbehörden, führe und gleichzeitig „politisches Handeln“ delegitimiere. In dieser faktenreiche wie meinungsstarken Analyse wären Seitenblicke auf die historische Situation in der DDR sowie die aktuelle Situation der europäischen Entwicklung (Stichwort Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn), wünschenswert gewesen. „Staatsschutz, Staatsschutz über alles“ überschrieb Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 6. Juli 2019 eine kritische Abrechnung des staatszentrierten Aufbaus des Strafgesetzbuches und fordert, das StGB zu „entrümpeln“. Sarah Schulz hat materialreich eine kritische Geschichte der Rechtsfigur der „fdGO“ geschrieben, die diese Forderung Prantl unterstützt.

Worum kämpft die wehrhafte Verfassung?“, fragt in der Januarausgabe der Zeitschrift „Die Öffentliche Verwaltung“ (S. 65) der wissenschaftliche Mitarbeiter Felix Thrun aus Köln.

Dieses Grundprinzip der Bundesrepublik Deutschland wurde 1952 wirkmächtig vom Bundesverfassungsgericht im zweiten Leitsatz seines Urteils zum Verbot der „Sozialistischen Reichspartei“ (BVerfGE 2, 1) wie folgt definiert:

„Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.

Das Bundesverfassungsgericht sieht in seiner Entscheidung zum Verbot der NPD von 17. Januar 2017 (BVerfGE 144, 20, Rn. 538 ff.) die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Erweiterung seiner bisherigen Rechtsprechung insbesondere durch die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip geprägt.

Mit den Schwertern des Vereinsverbots (Art. 9 Abs. 2 GG), der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG) sowie des Parteiverbotes (Art. 21 Abs. 2 GG) kann die FDGO verteidigt werden. Es erscheine, so Thrun, zunächst paradox, dass die „verteidigten Rechtsgüter zum Zweck ihres Schutzes beschnitten werden müssten“ (S. 68), aber „hinter dem Paradox“, so Thrun, stehe keine „echte Unvereinbarkeit“. Häufig müssten Rechtsgüter zu ihrem Schutz beeinträchtigt werden.

Diese These stellt Sarah Schulz in ihrer politikwissenschaftlichen Dissertation in Frage. Sie untersucht den juristischen Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aus einer anderen Perspektive. Die bisherige rechtswissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Begrifflichkeit habe die juristische Dogmatik, die Entstehung im verfassungsgebenden Prozess oder die praktische Anwendung untersucht, so die Autorin, während die Geschichtswissenschaft, insbesondere geschichtspolitischen Folgerungen aus dem Untergang der Weimarer Republik sowie die Entwicklung des Staatsschutzes Deutschland analysiert habe. Schulz möchte mit ihrer Arbeit diese politikwissenschaftlichen Untersuchungsansätze sowie staatstheoretischen und ideengeschichtlichen Überlegungen zugunsten einer Sichtweise überwinden, welche die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. „wehrhafte Demokratie“ als Verbindung des politischen Strafrechts mit einer materialen Rechtsstaatskonzeption auffasst.

Mit Karl Marx, Johannes Agnoli, Louis Althusser, Antonio Gramsci, Herbert Marcuse und Ingeborg Maus wendet sich die Autorin in einer Fundamentalkritik gegen die „ideologischen und repressiven Mechanismen“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für Sarah Schulz ist die „fdGO“ ein konstruierter, angeblich universeller Begriff, der von seinen historischen Entstehungsbedingungen abstrahiert worden ist. Die Exekutive nutze ihn zur Beschränkung demokratischer Betätigung. Zur Munitionierung dieser Generalkritik beschäftigt sich Sarah Schulz mit den Faktoren, die zum Untergang der Weimarer Republik geführt haben sowie deren Deutung in der Bundesrepublik als angebliches Scheitern der ersten deutschen Republik von Weimar durch den staatsrechtlichen Positivismus und eine vermeintliche „Wehrlosigkeit“ gegenüber dem Nationalsozialismus, die als Kontrastfolie zur Legitimation der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verwendet wird. Sie wertet die Diskussion der verfassungsgebenden Versammlung sowie der Beratungen über das erste Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 aus. Des Weiteren untersucht sie die bundesrepublikanische Rechtsprechung, insbesondere die Urteile des Bundesverfassungsgerichts in den Parteiverbotsverfahren gegen die „Sozialistische Reichspartei“, die „Kommunistische Partei Deutschlands“ und die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ in den Jahren 1952, 1956 bzw. 2017 sowie die einschlägige Kommentarliteratur zum Grundgesetz. Auch das Beamten- und Ausländerrecht werden in Hinblick auf die praktische Anwendung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung beleuchtet. Für Sarah Schulz ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung ein Paradox, das in unvereinbarer Weise durch eine „materiale Rechtsstaatsauffassung“ zu einer „exekutiven Kompetenzerweiterung“, insbesondere der Verfassungsschutzbehörden, führe und gleichzeitig „politisches Handeln“ delegitimiere. In dieser faktenreiche wie meinungsstarken Analyse wären Seitenblicke auf die historische Situation in der DDR sowie die aktuelle Situation der europäischen Entwicklung (Stichwort Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn), wünschenswert gewesen.

„Staatsschutz, Staatsschutz über alles“ überschrieb Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 6. Juli 2019 eine kritische Abrechnung des staatszentrierten Aufbaus des Strafgesetzbuches und fordert, das StGB zu „entrümpeln“. Sarah Schulz hat materialreich eine kritische Geschichte der Rechtsfigur der „fdGO“ geschrieben, die diese Forderung Prantl unterstützt.

geschrieben am 21.07.2019 | 657 Wörter | 4885 Zeichen

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