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Die Unermesslichkeit


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Rezension von

Dr. Benjamin Krenberger

Die Unermesslichkeit Die (einzigen) beiden „leider“ müssen an den Beginn der Besprechung dieses Romans: leider ist der deutsche Titel unglücklich gewählt, das Original „Caribou Island“ lädt dem Roman keineswegs die Bedeutungsschwere auf, wie es das deutsche Pendant tut. Denn wenn man recht am Ende des Buches endlich auf den Aspekt der Unermesslichkeit stößt, ist der Nexus zur Titelgebung fast schon eine Entzauberung, wenn man die bis dahin erzählte Geschichte als Vergleich heranzieht. Zum anderen ist die Übersetzung leider an mancher Stelle holprig, d.h. man versteht schon, was Original und Übersetzerin sagen wollten, aber es klingt einfach unrund. Das ist aber letztlich das Schicksal jedes übersetzten Romans und mindert die Gesamtqualität des Buches von Vann keineswegs. Denn der Roman ist ein beeindruckendes Stück Literatur, sowohl was Dramaturgie als auch was die eingesetzten sprachlichen Mittel angeht. Die Protagonisten sind Gary und Irene, ein in die Jahre gekommenes Ehepaar, das unter einfachen Bedingungen in Alaska lebt, obwohl Gary einst in Kalifornien eine Dissertation begonnen hatte und sich leidenschaftlich um altenglische Sprache und Sagen bemühte, etwa die oft zitierte Beowulf-Saga. Die Kinder der beiden, Rhoda und Mark, ermöglichen noch einige interessante Nebenhandlungsstränge, die aber letztendlich auch auf das große Thema des Buches, nämlich Erwartungen an das Leben und Enttäuschungen darüber, rekurrieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt, nämlich eine gewisse Determiniertheit des menschlichen Schicksals, zumindest innerhalb einer Familie, wird ebenfalls bis zum Schluss aufrechterhalten und gekonnt zum fulminanten Schlusspunkt genutzt. Gerade die hervorragende und schonungslose Art, wie Vann den Roman zur richtigen Zeit enden lässt, macht dem Leser noch einmal die ganze Aussichtslosigkeit des vorherigen Tuns deutlich und ermöglicht perfektes Kopfkino. Inhaltlich handelt der Roman davon, dass Gary auf seinem privaten Grundstück auf einer vorgelagerten Insel, Caribou Island, eine einfache Holzhütte errichten will, um seinem Ideal vom nordischen Seefahrer und Wildnisüberlebenden endlich nahezukommen, nachdem er sein bisheriges Leben als verpfuscht ansieht und dies mehr oder weniger offen vornehmlich seiner Frau Irene anlastet. Diese wiederum ist ebenfalls zutiefst unglücklich mit der ehelichen Beziehung, aber beide schaffen es bis zum tragischen Ende nicht, die Belastung aufzubrechen und ihre Wünsche ohne einander zu verwirklichen bzw. sich unter dem Rückzug eigener Forderungen neu zusammenzuraufen. Denn auch wenn beide immer wieder vorgeben, den anderen zu brauchen und mit ihm / ihr leben zu wollen, wissen sie nach kurzem Grübeln stets selbst, dass sie sich etwas vorspielen. Passenderweise ist dieser unüberwindliche Selbstbetrug, der auch in anderen Literaturgattungen, etwa dem realismo magico der lateinamerikanischen Literatur nach dem zweiten Weltkrieg, ein großes Thema ist, an die Tochter Rhoda weitergegeben worden, die als sehnliches Ziel die Heirat mit einem Zahnarzt, Jim, vor sich monstranzhaft herträgt, aber bei Eintreten des Wunsches zutiefst unglücklich ist und die (erbärmlichen) Absichten des Mannes sofort durchschaut. Aber dennoch hält sie an ihrem Wunsch fest, nicht in der Lage, eine Zäsur zu machen und sich der Realität zu stellen. Dazu kommt ihre enge Verbindung zu den Eltern, die umgekehrt gar nicht so stark zurückgegeben wird, jedenfalls was die Sorge um die Tochter betrifft. Es zeigen sich Verständnisschwierigkeiten im Dialog, ebenso wie der eigentlich angebrachte Lösungen zukleisternde Wunsch der Tochter, dass sich die Eltern doch vertragen und lieben sollten. Dagegen ist der Bruder Mark trotz trauriger Karriere als kiffender Lachsfänger wesentlich realistischer und hat sich von der Familie weitestgehend emanzipiert, nicht ohne dafür von diesen nicht mehr ernst genommen zu werden. Die Dramatik und das Tempo des Romans werden dadurch gesteuert und gesteigert, dass der Autor die direkte Rede nicht von den sonstigen Textbestandteilen trennt, sodass der Leser nicht eingelullt werden kann, sondern der Handlung und den Wendungen aufmerksam und mit Spannung folgen muss. Dazu kommen kurze, schmuckarme Sätze, die neben der Beschleunigung der Handlung auch die Charaktere der Protagonisten trefflich unterstützen. Dass die Geschichte gerade in Alaska spielt, ist eher nebensächlich, es könnte auch eine sonstige ländliche Gegend oder gar eine wüstenartige Landschaft sein, wo die Menschen letztlich mit sich und ihren Gefühlen auf sich selbst treffen und sich ihnen stellen müssen. Dann zeigt sich, wer das Leben nur simuliert und wer aus der Bequemlichkeit des Gewohnten auszubrechen vermag. Dass dann letztlich die große verletzende Aussprache nicht zu einer Lösung führt, ist ein weiterer tragischer Passus des Romans, ein grandioses Scheitern ehemals vorhandener Liebe. Dass letztendlich auch Irene ihrer Tochter schlimmen psychischen Schaden zufügt, obwohl sie sie eigentlich retten wollte, und dies dann nicht mehr ändern kann und es auch erkennt, ist ein passendes Gegenstück zur Vorgerichte Irenes, die ihre eigene Mutter erhängt auffinden musste. Man kann die Wucht dieses Romans anfangs gar nicht erahnen, wird aber am Ende beeindruckt das Buch zuklappen. Die Beschreibung und Entwicklung der Gefühle gelingt in teilweise deprimierend guter Weise und nötigt den Leser an vielen Stellen zur kritischen Selbstreflexion, ob man sich nicht selbst allzu oft emotional etwas vormacht und dadurch an Lebensqualität einbüßt. Eine ganz klare Leseempfehlung.

Die (einzigen) beiden „leider“ müssen an den Beginn der Besprechung dieses Romans: leider ist der deutsche Titel unglücklich gewählt, das Original „Caribou Island“ lädt dem Roman keineswegs die Bedeutungsschwere auf, wie es das deutsche Pendant tut. Denn wenn man recht am Ende des Buches endlich auf den Aspekt der Unermesslichkeit stößt, ist der Nexus zur Titelgebung fast schon eine Entzauberung, wenn man die bis dahin erzählte Geschichte als Vergleich heranzieht. Zum anderen ist die Übersetzung leider an mancher Stelle holprig, d.h. man versteht schon, was Original und Übersetzerin sagen wollten, aber es klingt einfach unrund. Das ist aber letztlich das Schicksal jedes übersetzten Romans und mindert die Gesamtqualität des Buches von Vann keineswegs.

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Denn der Roman ist ein beeindruckendes Stück Literatur, sowohl was Dramaturgie als auch was die eingesetzten sprachlichen Mittel angeht. Die Protagonisten sind Gary und Irene, ein in die Jahre gekommenes Ehepaar, das unter einfachen Bedingungen in Alaska lebt, obwohl Gary einst in Kalifornien eine Dissertation begonnen hatte und sich leidenschaftlich um altenglische Sprache und Sagen bemühte, etwa die oft zitierte Beowulf-Saga. Die Kinder der beiden, Rhoda und Mark, ermöglichen noch einige interessante Nebenhandlungsstränge, die aber letztendlich auch auf das große Thema des Buches, nämlich Erwartungen an das Leben und Enttäuschungen darüber, rekurrieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt, nämlich eine gewisse Determiniertheit des menschlichen Schicksals, zumindest innerhalb einer Familie, wird ebenfalls bis zum Schluss aufrechterhalten und gekonnt zum fulminanten Schlusspunkt genutzt. Gerade die hervorragende und schonungslose Art, wie Vann den Roman zur richtigen Zeit enden lässt, macht dem Leser noch einmal die ganze Aussichtslosigkeit des vorherigen Tuns deutlich und ermöglicht perfektes Kopfkino.

Inhaltlich handelt der Roman davon, dass Gary auf seinem privaten Grundstück auf einer vorgelagerten Insel, Caribou Island, eine einfache Holzhütte errichten will, um seinem Ideal vom nordischen Seefahrer und Wildnisüberlebenden endlich nahezukommen, nachdem er sein bisheriges Leben als verpfuscht ansieht und dies mehr oder weniger offen vornehmlich seiner Frau Irene anlastet. Diese wiederum ist ebenfalls zutiefst unglücklich mit der ehelichen Beziehung, aber beide schaffen es bis zum tragischen Ende nicht, die Belastung aufzubrechen und ihre Wünsche ohne einander zu verwirklichen bzw. sich unter dem Rückzug eigener Forderungen neu zusammenzuraufen. Denn auch wenn beide immer wieder vorgeben, den anderen zu brauchen und mit ihm / ihr leben zu wollen, wissen sie nach kurzem Grübeln stets selbst, dass sie sich etwas vorspielen. Passenderweise ist dieser unüberwindliche Selbstbetrug, der auch in anderen Literaturgattungen, etwa dem realismo magico der lateinamerikanischen Literatur nach dem zweiten Weltkrieg, ein großes Thema ist, an die Tochter Rhoda weitergegeben worden, die als sehnliches Ziel die Heirat mit einem Zahnarzt, Jim, vor sich monstranzhaft herträgt, aber bei Eintreten des Wunsches zutiefst unglücklich ist und die (erbärmlichen) Absichten des Mannes sofort durchschaut. Aber dennoch hält sie an ihrem Wunsch fest, nicht in der Lage, eine Zäsur zu machen und sich der Realität zu stellen. Dazu kommt ihre enge Verbindung zu den Eltern, die umgekehrt gar nicht so stark zurückgegeben wird, jedenfalls was die Sorge um die Tochter betrifft. Es zeigen sich Verständnisschwierigkeiten im Dialog, ebenso wie der eigentlich angebrachte Lösungen zukleisternde Wunsch der Tochter, dass sich die Eltern doch vertragen und lieben sollten. Dagegen ist der Bruder Mark trotz trauriger Karriere als kiffender Lachsfänger wesentlich realistischer und hat sich von der Familie weitestgehend emanzipiert, nicht ohne dafür von diesen nicht mehr ernst genommen zu werden.

Die Dramatik und das Tempo des Romans werden dadurch gesteuert und gesteigert, dass der Autor die direkte Rede nicht von den sonstigen Textbestandteilen trennt, sodass der Leser nicht eingelullt werden kann, sondern der Handlung und den Wendungen aufmerksam und mit Spannung folgen muss. Dazu kommen kurze, schmuckarme Sätze, die neben der Beschleunigung der Handlung auch die Charaktere der Protagonisten trefflich unterstützen. Dass die Geschichte gerade in Alaska spielt, ist eher nebensächlich, es könnte auch eine sonstige ländliche Gegend oder gar eine wüstenartige Landschaft sein, wo die Menschen letztlich mit sich und ihren Gefühlen auf sich selbst treffen und sich ihnen stellen müssen. Dann zeigt sich, wer das Leben nur simuliert und wer aus der Bequemlichkeit des Gewohnten auszubrechen vermag. Dass dann letztlich die große verletzende Aussprache nicht zu einer Lösung führt, ist ein weiterer tragischer Passus des Romans, ein grandioses Scheitern ehemals vorhandener Liebe. Dass letztendlich auch Irene ihrer Tochter schlimmen psychischen Schaden zufügt, obwohl sie sie eigentlich retten wollte, und dies dann nicht mehr ändern kann und es auch erkennt, ist ein passendes Gegenstück zur Vorgerichte Irenes, die ihre eigene Mutter erhängt auffinden musste.

Man kann die Wucht dieses Romans anfangs gar nicht erahnen, wird aber am Ende beeindruckt das Buch zuklappen. Die Beschreibung und Entwicklung der Gefühle gelingt in teilweise deprimierend guter Weise und nötigt den Leser an vielen Stellen zur kritischen Selbstreflexion, ob man sich nicht selbst allzu oft emotional etwas vormacht und dadurch an Lebensqualität einbüßt. Eine ganz klare Leseempfehlung.

geschrieben am 19.05.2012 | 790 Wörter | 4814 Zeichen

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