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Flüstern mit Megafon


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Informationen zum Buch
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  Extras

Rezension von

Dr. Benjamin Krenberger

Flüstern mit Megafon Der Roman „Flüstern mit Megafon“ gehört mit zu den besten Titeln, die ich den letzten Jahren gelesen habe. Es ist eine in Handlung, Figuren, Aufbau und Sprache gut abgestimmte Komposition, die ihresgleichen sucht. Begeistert von dem Buch bin ich nicht primär wegen der Hauptgeschichte zweier Menschen, die sich, gewissermaßen auf der Flucht, zufällig in einem Waldstück begegnen, physisch und psychisch, und dann aus dieser Begegnung etwas Unerwartetes, Besonderes entsteht. Sondern vielmehr deswegen, weil mich die Charaktere in ihren Schattierungen, ihren Schwächen, Störungen und Peinlichkeiten überzeugen, sie sind uneins mit sich und mit vielen Aspekten ihrer Umwelt. Ihre Begegnung führt aber zu einer Wendung, die aber für jeden der beiden, Miriam und Ralph, ganz anders ausgeht, als sie es erst selbst dachten und vor allem als es der Leser gedacht hätte. Auf diese Weise kann die Autorin Rachel Elliott nicht nur den Spannungsbogen geschickt aufrecht erhalten, sondern auch an der Geschichte so weiterstricken, dass man als Leser selbst am Ende noch kurz schockiert, dann aber doch sehr positiv überrascht wird. Das ist beeindruckend, vor allem für den ersten Roman einer Autorin. Was noch überaus positiv hinzukommt, ist die gekonnte Sprachwahl, die selbst in der deutschen Übersetzung – ein Sonderlob dafür an Übersetzerin und Lektorat – tiefen Eindruck hinterlässt, Beispiele dazu später. Die Geschichte in Kurzfassung: Ralph Swoon führt eine Ehe mit Sadie und zwei Zwillingssöhnen, ist Psychotherapeut und kein Freund großer Gefühle. Sadie hingegen ist unausgeglichen, sprunghaft und trauert nach wie vor ihrer nie eingegangenen Beziehung zu ihrer Freundin Alison nach. Bei Ralphs Geburtstagsfeier eskaliert die Situation und Ralph macht sich mit einem kleinen Notgepäck einfach aus dem Staub und landet im Wald in einer Bretterbude. Miriam hingegen wächst unter der Zwangsjacke ihrer Mutter Frances auf, die ihr keinen Spielraum lässt und die sie letzten Ende dazu verleitet hat, nur noch zu flüstern, um ja nicht aufzufallen. Frances hat ganz offensichtlich eine psychische Störung, die Miriam mit allen Finessen ausbaden muss. Erst als Miriams Mutter durch einen Sprung ins Meer Selbstmord begeht, ist Miriam (vermeintlich) frei. Doch auf dem Rückweg aus der Stadt wird sie von einem Mann angefallen und wehrt sich mit animalischer Wildheit. Aus Angst vor weiteren solchen Ausbrüchen verbringt sie die nächsten drei Jahre allein in ihrem Haus, nahezu ohne Kontakt zur Außenwelt. Als sie dann doch endlich den Entschluss fasst, wieder am Leben der anderen teilzunehmen, trifft sie auf dem Rückweg zu ihrem Haus auf den im Wald Gitarre spielenden Ralph. Die beiden beäugen und umschleichen sich in Wort und Tat, beide sind misstrauisch und vorsichtig. Doch ein Gewitter sorgt dafür, dass beide sich in Miriams Haus flüchten. In der Folge lernt man Miriams Nachbar Boo besser kennen, erfährt den Ursprung von heimlich bei Miriam eingeworfenen Postkarten und muss Ralph und Sadie bei ihren mehr oder weniger verzweifelten Versuchen zusehen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Dabei werden alte Wunden aufgerissen, aber auch alte Leidenschaften wieder entdeckt, falsche Gefühle nivelliert und auch die Unabänderbarkeit des eigenen Charakters wird den Beteiligten schmerzhaft vor Augen geführt. Dennoch: alle drei finden ihren Weg. Miriam braucht ein bisschen Hilfe, aber kann sich darauf einlassen, mit ganz unerwarteten, wunderschön dargestellten Hindernissen und Folgen. Ralph macht einen Neuanfang, Sadie ebenso. Den oben genannten Schocker kann ich leider nicht vorwegnehmen, aber es ist eine tolle Volte kurz vor Schluss. Angenehm ist auch, dass es keine losen Handlungsstränge gibt. Figuren kommen hinzu und verblassen wieder, dienen aber jedes Mal der Hauptgeschichte. Wenn Hinweise in den Dialogen und Gedanken aufblitzen, folgt postwendend eine Rückblende, sodass man nicht ahnungslos durch die Geschichte stolpert. Diese Rückblenden werden aber geschickt eingesetzt, sodass die Spannung erhalten bleibt und Überraschungen garantiert sind. Das Ende ist offen, wenngleich in amüsanter Weise. Zur bereits erwähnten schönen Sprache: mich begeistert es stets, wenn Autoren Formulierungen finden, die regelrecht nachhallen. Wenn man sich den Satz mehrmals durch den Kopf gehen und auf der Zunge zergehen lässt, weil er so treffend ist. Das kann singulär, aber ebenso im Kontext geschehen, hier ist beides mehrfach vorhanden. Nur als Beispiele: „Sie war nie allein, und trotzdem war nie jemand da“ (S. 49) zur Beschreibung des fatalen Verhältnisses von Miriam zu ihrer Mutter. Oder ebenso: „Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll – nicht, weil du nicht mehr da bist, sondern weil du mich noch nie hast leben lassen“ (S. 215). Oder eher allgemein folgende Umschreibung von Miriams Weg zurück in die Zivilisation: „Ich weiß nicht was beängstigender ist, denkt sie – zu glauben, dass man allein auf der Welt ist, oder festzustellen, dass man es nicht ist“ (S. 288). Oder Folgendes: „Ihr Kummer war unleserlich, ein ungereimtes Gedicht, das sich durch ihre Seele schlängelte“ (S. 352). Eine wahrhaft beeindruckende Umschreibung für ein zerrissenes Wesen wie Miriam. Aber gleichsam witzige Bonmots wie die Definition von Liebe als Mischung aus Zaubertrick und Persönlichkeitsstörung (S. 397). Kurzum: ich habe die Lektüre wahrlich genossen und kann das Buch besten Gewissens und mit Nachdruck weiterempfehlen.

Der Roman „Flüstern mit Megafon“ gehört mit zu den besten Titeln, die ich den letzten Jahren gelesen habe. Es ist eine in Handlung, Figuren, Aufbau und Sprache gut abgestimmte Komposition, die ihresgleichen sucht. Begeistert von dem Buch bin ich nicht primär wegen der Hauptgeschichte zweier Menschen, die sich, gewissermaßen auf der Flucht, zufällig in einem Waldstück begegnen, physisch und psychisch, und dann aus dieser Begegnung etwas Unerwartetes, Besonderes entsteht. Sondern vielmehr deswegen, weil mich die Charaktere in ihren Schattierungen, ihren Schwächen, Störungen und Peinlichkeiten überzeugen, sie sind uneins mit sich und mit vielen Aspekten ihrer Umwelt. Ihre Begegnung führt aber zu einer Wendung, die aber für jeden der beiden, Miriam und Ralph, ganz anders ausgeht, als sie es erst selbst dachten und vor allem als es der Leser gedacht hätte. Auf diese Weise kann die Autorin Rachel Elliott nicht nur den Spannungsbogen geschickt aufrecht erhalten, sondern auch an der Geschichte so weiterstricken, dass man als Leser selbst am Ende noch kurz schockiert, dann aber doch sehr positiv überrascht wird. Das ist beeindruckend, vor allem für den ersten Roman einer Autorin. Was noch überaus positiv hinzukommt, ist die gekonnte Sprachwahl, die selbst in der deutschen Übersetzung – ein Sonderlob dafür an Übersetzerin und Lektorat – tiefen Eindruck hinterlässt, Beispiele dazu später.

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Die Geschichte in Kurzfassung: Ralph Swoon führt eine Ehe mit Sadie und zwei Zwillingssöhnen, ist Psychotherapeut und kein Freund großer Gefühle. Sadie hingegen ist unausgeglichen, sprunghaft und trauert nach wie vor ihrer nie eingegangenen Beziehung zu ihrer Freundin Alison nach. Bei Ralphs Geburtstagsfeier eskaliert die Situation und Ralph macht sich mit einem kleinen Notgepäck einfach aus dem Staub und landet im Wald in einer Bretterbude. Miriam hingegen wächst unter der Zwangsjacke ihrer Mutter Frances auf, die ihr keinen Spielraum lässt und die sie letzten Ende dazu verleitet hat, nur noch zu flüstern, um ja nicht aufzufallen. Frances hat ganz offensichtlich eine psychische Störung, die Miriam mit allen Finessen ausbaden muss. Erst als Miriams Mutter durch einen Sprung ins Meer Selbstmord begeht, ist Miriam (vermeintlich) frei. Doch auf dem Rückweg aus der Stadt wird sie von einem Mann angefallen und wehrt sich mit animalischer Wildheit. Aus Angst vor weiteren solchen Ausbrüchen verbringt sie die nächsten drei Jahre allein in ihrem Haus, nahezu ohne Kontakt zur Außenwelt. Als sie dann doch endlich den Entschluss fasst, wieder am Leben der anderen teilzunehmen, trifft sie auf dem Rückweg zu ihrem Haus auf den im Wald Gitarre spielenden Ralph. Die beiden beäugen und umschleichen sich in Wort und Tat, beide sind misstrauisch und vorsichtig. Doch ein Gewitter sorgt dafür, dass beide sich in Miriams Haus flüchten. In der Folge lernt man Miriams Nachbar Boo besser kennen, erfährt den Ursprung von heimlich bei Miriam eingeworfenen Postkarten und muss Ralph und Sadie bei ihren mehr oder weniger verzweifelten Versuchen zusehen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Dabei werden alte Wunden aufgerissen, aber auch alte Leidenschaften wieder entdeckt, falsche Gefühle nivelliert und auch die Unabänderbarkeit des eigenen Charakters wird den Beteiligten schmerzhaft vor Augen geführt. Dennoch: alle drei finden ihren Weg. Miriam braucht ein bisschen Hilfe, aber kann sich darauf einlassen, mit ganz unerwarteten, wunderschön dargestellten Hindernissen und Folgen. Ralph macht einen Neuanfang, Sadie ebenso. Den oben genannten Schocker kann ich leider nicht vorwegnehmen, aber es ist eine tolle Volte kurz vor Schluss.

Angenehm ist auch, dass es keine losen Handlungsstränge gibt. Figuren kommen hinzu und verblassen wieder, dienen aber jedes Mal der Hauptgeschichte. Wenn Hinweise in den Dialogen und Gedanken aufblitzen, folgt postwendend eine Rückblende, sodass man nicht ahnungslos durch die Geschichte stolpert. Diese Rückblenden werden aber geschickt eingesetzt, sodass die Spannung erhalten bleibt und Überraschungen garantiert sind. Das Ende ist offen, wenngleich in amüsanter Weise.

Zur bereits erwähnten schönen Sprache: mich begeistert es stets, wenn Autoren Formulierungen finden, die regelrecht nachhallen. Wenn man sich den Satz mehrmals durch den Kopf gehen und auf der Zunge zergehen lässt, weil er so treffend ist. Das kann singulär, aber ebenso im Kontext geschehen, hier ist beides mehrfach vorhanden. Nur als Beispiele: „Sie war nie allein, und trotzdem war nie jemand da“ (S. 49) zur Beschreibung des fatalen Verhältnisses von Miriam zu ihrer Mutter. Oder ebenso: „Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll – nicht, weil du nicht mehr da bist, sondern weil du mich noch nie hast leben lassen“ (S. 215). Oder eher allgemein folgende Umschreibung von Miriams Weg zurück in die Zivilisation: „Ich weiß nicht was beängstigender ist, denkt sie – zu glauben, dass man allein auf der Welt ist, oder festzustellen, dass man es nicht ist“ (S. 288). Oder Folgendes: „Ihr Kummer war unleserlich, ein ungereimtes Gedicht, das sich durch ihre Seele schlängelte“ (S. 352). Eine wahrhaft beeindruckende Umschreibung für ein zerrissenes Wesen wie Miriam. Aber gleichsam witzige Bonmots wie die Definition von Liebe als Mischung aus Zaubertrick und Persönlichkeitsstörung (S. 397).

Kurzum: ich habe die Lektüre wahrlich genossen und kann das Buch besten Gewissens und mit Nachdruck weiterempfehlen.

geschrieben am 16.04.2016 | 816 Wörter | 4617 Zeichen

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