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Handlungen – Das periodische System der Handlungsarten


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Rezension von

Daniel Bigalke

Handlungen – Das periodische System der Handlungsarten Wohl niemand anders hat für die jüngste Gegenwart die unbedingte Notwendigkeit vollends offener Demokratie so sehr gefordert, wie der Sozialphilosoph Johannes Heinrichs. Er hat im Rahmen seines Paradigmas der vier Ebenen des sozialen Organismus beispielsweise durchdachte Lösungen dafür geboten, wie Grundwertefragen unabhängig von den Grenzen der Parteimentalität über die vier menschlichen Reflexionsstufen sachlicher gelöst werden können. Seine Theorie ist Ausdruck einer stets erzielten Konvergenz individuell-freien Handelns und staatlich-amtlichen Handels. Ein derartig einzurichtendes vitales Rechtsleben ist bei ihm konstitutiv für Gemeinschaften, in denen Religion und Recht als Errungenschaft der Moderne getrennte Sphären sind. Und richten wir einen radikal-kritischen Blick auf die Realität, so erkennen wir im Gegenzug die Form einer „Säkular-Theokratie“, die quasi-theologische Legitimationswahrheiten selbst im Bereich des Politischen kennt. Sie geht den Weg zur Eingrenzung politischer Selbstreflexion mittels der Dominanz von weltanschaulichen Bekenntnissen mit der Folge eines ideologischen Extremismusbegriffs bis hinein in die Institutionen – Preisgabe des Denkens überhaupt. Mit dem vorliegenden Buch liefert der Philosoph nunmehr ein weiteres Konvolut des von ihm wirklich ernst genommenen freien Denkens ab, das es in sich hat. Der Mensch hat vor gut 200 Jahren seine Pflanzen- und Tierwelt wissenschaftlich zu ordnen begonnen. Bezüglich der Arten seines eigenen menschlichen Handelns aber hat es die philosophische Handlungstheorie noch keineswegs zu einer ernstzunehmenden Systematik gebracht, wie es die Chemie mit ihrem Periodensystem tat. Heinrichs geht an diese Handlungssystematik heran, indem er Handlung als Prozess der praktischen Reflexion, als Selbstbezug-im-Fremdbezug, sowie als gewollte Veränderung von Weltteilen erfaßt. Nach den Arten des zu Verändernden gewinnt er die obersten vier Handlungsgattungen. Das „fraktale" Verfahren führt in einer phänomenologischen Rekonstruktion unseres alltäglichen Handelns zu 256 Handlungsklassen, die Heinrichs aus der Unterscheidung von objektiven, subjektiven, sozialen und Ausdrucks-Handlungen destilliert. Was der Leser hier also vor die Augen bekommt, mag anfänglich schwer zu lesen sein und weist wohl auf die Notwendigkeit hin, vielleicht eine kürzere Fassung in verständlicherer Sprache zu veröffentlichen. Dennoch: Auch wenn diese Schrift anfangs noch etwas fachphilosophisch anmutet, so gelingt die überraschende Rekonstruktion unserer Handlungswelt fortschreitend in geradezu amüsanter Weise. Es handelt sich um ein ebenso anspruchsvolles wie bescheidenes Unterfangen, bei dem der Autor so manches sakrosankte Postulat des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebes inklusive seines Vertreters in Frage stellt. Der angefügte offene Brief an Jürgen Habermas bietet ein beeindruckendes Beispiel dafür. Der Leser wird Zeuge einer philosophiegeschichtlichen Wende. Gleichzeitig meint man, die Größen des deutschen Denkens, Hegel und Fichte, zu vernehmen, die gleichsam den nicht drohenden sondern mahnenden Zeigefinger erheben: „Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Indem die wahre Gestalt der Wahrheit in diese Wissenschaftlichkeit gesetzt wird, so weiß ich, dass dies im Widerspruch mit einer Vorstellung und deren Folgen zu stehen scheint, welche eine so große Anmaßung als Ausbreitung in der Überzeugung des Zeitalters hat." Heinrichs entfacht mit diesem Buch eine wegweisende Debatte mit Jürgen Habermas. Und fürwahr - Habermas’ inzwischen völlig unkritisch reproduzierte und nicht mehr der gegenwärtigen sozialen und politischen Situation gemäße SPD-Philosophie hat tatsächlich dahingehend versagt, daß sie die Leistung der großen europäischen Philosophie und insbesondere diejenige des Deutschen Idealismus als neuerliche Form einer „konkreten Selbstbehauptung in der Situation“ (Bernard Willms) nicht konstruktiv weiterentwickelte, sondern sich das modische angelsächsische Mäntelchen umhängte. Bei Heinrichs klingt das dann so: „Was wir im öffentlichen Bereich brauchen ist keine Diskursethik, (...), sondern vielmehr: institutionelle Vorkehrungen, die der gesellschaftlichen Kommunikation, der Demokratie als einer kommunikativen Gesellschaft, Chancen bieten.“ (473) Nicht gerade zurückhaltend wirft der Autor also Habermas vor, es weder zu einer systematischen Handlungstheorie, die sich von so genannter Sprachpragmatik unterscheiden läßt, noch es zu einer strukturierten Sprachtheorie gebracht zu haben. Habermas habe somit die „Logik des Sozialen“ nicht erfasst und eine Systemtheorie der Gesellschaft verpasst. Stattdessen verschanze er sich lieber hinter einer kuscheligen kommunikativen Lebenswelt, die er leichtfertig den „bösen Systemen“ entgegengesetzt und somit jeden systematischen Anspruch auf strukturierte Erfassung von individuellen oder sozialen Prozessen unmöglich machen würden. Gewiss würde er dann vermittels des strukturelleren philosophischen Denkens auch erkennen, daß die Feinde der „diskursiven“ Gesellschaft lediglich die Feinde in seinem eigenen Kopf sind. Eines indes steht am Ende fest: Jetzt ist nicht nur Habermas neu herausgefordert, sich mit dieser neuen Systemtheorie auseinanderzusetzen. Auch die Philosophie als solche hätte nunmehr neue Gesetzmäßigkeiten und wäre auf dem Weg nach der Frage: „Was ist der Mensch?“ und „Nach welchen Gesetzen handelt er?“ ein gewaltiges Stück vorangekommen. Die alte bundesrepublikanische Herrschaft des „herrschaftsfreien Diskurses“ zumindest liegt tatsächlich am Boden und der universitäre Diskurs hat versagt, denn der wahre Sinngehalt des philosophischen Denkens in der Tradition des Deutschen Idealismus war keine vorübergehende Angelegenheit des 19. Jahrhunderts, sondern setzt sich u. a. mit diesem Buch in die Gegenwart hinein fort. Neue denkerische Lösungsvorschläge finden wir nur über die Anerkennung dieser Tradition, nicht über Verleumdung derselben, um etwas „richtigeres“ erst herzustellen. Der Philosoph Willms schrieb zum Deutschen Idealismus: „Jenem Denken ging es darum, eine bestimmte, für vernünftig gehaltene Form der Gesellschaftlichkeit zu etwas zu machen, das nicht erst bewußt hergestellt werden müsse, sondern das der einzelne schon von sich her mitbringt.“ Keine diskursverherrlichende und erst vom Einzelnen anzunehmende „Gelehrsamkeit“ also, sondern die Erkenntnis steht im Mittelpunkt, daß jeder Mensch zur Selbstreflexion und zu umfassendem – auch nationalem – Selbstbewußtsein fähig ist. Das vorliegende Buch ist dafür ein zeitgemäßer philosophischer Wegweiser.

Wohl niemand anders hat für die jüngste Gegenwart die unbedingte Notwendigkeit vollends offener Demokratie so sehr gefordert, wie der Sozialphilosoph Johannes Heinrichs. Er hat im Rahmen seines Paradigmas der vier Ebenen des sozialen Organismus beispielsweise durchdachte Lösungen dafür geboten, wie Grundwertefragen unabhängig von den Grenzen der Parteimentalität über die vier menschlichen Reflexionsstufen sachlicher gelöst werden können. Seine Theorie ist Ausdruck einer stets erzielten Konvergenz individuell-freien Handelns und staatlich-amtlichen Handels. Ein derartig einzurichtendes vitales Rechtsleben ist bei ihm konstitutiv für Gemeinschaften, in denen Religion und Recht als Errungenschaft der Moderne getrennte Sphären sind. Und richten wir einen radikal-kritischen Blick auf die Realität, so erkennen wir im Gegenzug die Form einer „Säkular-Theokratie“, die quasi-theologische Legitimationswahrheiten selbst im Bereich des Politischen kennt. Sie geht den Weg zur Eingrenzung politischer Selbstreflexion mittels der Dominanz von weltanschaulichen Bekenntnissen mit der Folge eines ideologischen Extremismusbegriffs bis hinein in die Institutionen – Preisgabe des Denkens überhaupt.

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Mit dem vorliegenden Buch liefert der Philosoph nunmehr ein weiteres Konvolut des von ihm wirklich ernst genommenen freien Denkens ab, das es in sich hat. Der Mensch hat vor gut 200 Jahren seine Pflanzen- und Tierwelt wissenschaftlich zu ordnen begonnen. Bezüglich der Arten seines eigenen menschlichen Handelns aber hat es die philosophische Handlungstheorie noch keineswegs zu einer ernstzunehmenden Systematik gebracht, wie es die Chemie mit ihrem Periodensystem tat. Heinrichs geht an diese Handlungssystematik heran, indem er Handlung als Prozess der praktischen Reflexion, als Selbstbezug-im-Fremdbezug, sowie als gewollte Veränderung von Weltteilen erfaßt. Nach den Arten des zu Verändernden gewinnt er die obersten vier Handlungsgattungen. Das „fraktale" Verfahren führt in einer phänomenologischen Rekonstruktion unseres alltäglichen Handelns zu 256 Handlungsklassen, die Heinrichs aus der Unterscheidung von objektiven, subjektiven, sozialen und Ausdrucks-Handlungen destilliert.

Was der Leser hier also vor die Augen bekommt, mag anfänglich schwer zu lesen sein und weist wohl auf die Notwendigkeit hin, vielleicht eine kürzere Fassung in verständlicherer Sprache zu veröffentlichen. Dennoch: Auch wenn diese Schrift anfangs noch etwas fachphilosophisch anmutet, so gelingt die überraschende Rekonstruktion unserer Handlungswelt fortschreitend in geradezu amüsanter Weise. Es handelt sich um ein ebenso anspruchsvolles wie bescheidenes Unterfangen, bei dem der Autor so manches sakrosankte Postulat des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebes inklusive seines Vertreters in Frage stellt. Der angefügte offene Brief an Jürgen Habermas bietet ein beeindruckendes Beispiel dafür. Der Leser wird Zeuge einer philosophiegeschichtlichen Wende. Gleichzeitig meint man, die Größen des deutschen Denkens, Hegel und Fichte, zu vernehmen, die gleichsam den nicht drohenden sondern mahnenden Zeigefinger erheben: „Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Indem die wahre Gestalt der Wahrheit in diese Wissenschaftlichkeit gesetzt wird, so weiß ich, dass dies im Widerspruch mit einer Vorstellung und deren Folgen zu stehen scheint, welche eine so große Anmaßung als Ausbreitung in der Überzeugung des Zeitalters hat."

Heinrichs entfacht mit diesem Buch eine wegweisende Debatte mit Jürgen Habermas. Und fürwahr - Habermas’ inzwischen völlig unkritisch reproduzierte und nicht mehr der gegenwärtigen sozialen und politischen Situation gemäße SPD-Philosophie hat tatsächlich dahingehend versagt, daß sie die Leistung der großen europäischen Philosophie und insbesondere diejenige des Deutschen Idealismus als neuerliche Form einer „konkreten Selbstbehauptung in der Situation“ (Bernard Willms) nicht konstruktiv weiterentwickelte, sondern sich das modische angelsächsische Mäntelchen umhängte. Bei Heinrichs klingt das dann so: „Was wir im öffentlichen Bereich brauchen ist keine Diskursethik, (...), sondern vielmehr: institutionelle Vorkehrungen, die der gesellschaftlichen Kommunikation, der Demokratie als einer kommunikativen Gesellschaft, Chancen bieten.“ (473)

Nicht gerade zurückhaltend wirft der Autor also Habermas vor, es weder zu einer systematischen Handlungstheorie, die sich von so genannter Sprachpragmatik unterscheiden läßt, noch es zu einer strukturierten Sprachtheorie gebracht zu haben. Habermas habe somit die „Logik des Sozialen“ nicht erfasst und eine Systemtheorie der Gesellschaft verpasst. Stattdessen verschanze er sich lieber hinter einer kuscheligen kommunikativen Lebenswelt, die er leichtfertig den „bösen Systemen“ entgegengesetzt und somit jeden systematischen Anspruch auf strukturierte Erfassung von individuellen oder sozialen Prozessen unmöglich machen würden. Gewiss würde er dann vermittels des strukturelleren philosophischen Denkens auch erkennen, daß die Feinde der „diskursiven“ Gesellschaft lediglich die Feinde in seinem eigenen Kopf sind.

Eines indes steht am Ende fest: Jetzt ist nicht nur Habermas neu herausgefordert, sich mit dieser neuen Systemtheorie auseinanderzusetzen. Auch die Philosophie als solche hätte nunmehr neue Gesetzmäßigkeiten und wäre auf dem Weg nach der Frage: „Was ist der Mensch?“ und „Nach welchen Gesetzen handelt er?“ ein gewaltiges Stück vorangekommen. Die alte bundesrepublikanische Herrschaft des „herrschaftsfreien Diskurses“ zumindest liegt tatsächlich am Boden und der universitäre Diskurs hat versagt, denn der wahre Sinngehalt des philosophischen Denkens in der Tradition des Deutschen Idealismus war keine vorübergehende Angelegenheit des 19. Jahrhunderts, sondern setzt sich u. a. mit diesem Buch in die Gegenwart hinein fort. Neue denkerische Lösungsvorschläge finden wir nur über die Anerkennung dieser Tradition, nicht über Verleumdung derselben, um etwas „richtigeres“ erst herzustellen. Der Philosoph Willms schrieb zum Deutschen Idealismus: „Jenem Denken ging es darum, eine bestimmte, für vernünftig gehaltene Form der Gesellschaftlichkeit zu etwas zu machen, das nicht erst bewußt hergestellt werden müsse, sondern das der einzelne schon von sich her mitbringt.“ Keine diskursverherrlichende und erst vom Einzelnen anzunehmende „Gelehrsamkeit“ also, sondern die Erkenntnis steht im Mittelpunkt, daß jeder Mensch zur Selbstreflexion und zu umfassendem – auch nationalem – Selbstbewußtsein fähig ist. Das vorliegende Buch ist dafür ein zeitgemäßer philosophischer Wegweiser.

geschrieben am 10.12.2007 | 859 Wörter | 5765 Zeichen

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