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Vernunftrepublikanismus in der Weimarer Republik


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Rezension von

Max Bloch

Vernunftrepublikanismus in der Weimarer Republik Seit Friedrich Meineckes Artikel über „Verfassung und Verwaltung der deutschen Republik“ vom Januar 1919, in dem er gestand, Herzensmonarchist, aber Vernunftrepublikaner zu sein, hat das Schlagwort des „Vernunftrepublikanismus“ politische wie wissenschaftliche Dispute nachhaltig bestimmt, ohne dass eine systematische Klärung des Begriffs bislang in Angriff genommen worden wäre. Dieses Manko zu beheben, ein historisches Phänomen von mehreren Seiten zu beleuchten und ihm hierdurch Tiefenschärfe zu verleihen – dieses Ziel ist dem von Andreas Wirsching und Jürgen Eder herausgegebenen Sammelband über den „Vernunftrepublikanismus in der Weimarer Republik“ gesteckt. In seinem Beitrag über die wohl prominentesten „Vernunftsrepublikaner“, Gustav Stresemann, Thomas Mann und eben Meinecke selbst, stellt Horst Möller fest, dass es 1919, als Meinecke seinen Artikel schrieb, weniger erstaunlich gewesen sei, dass es noch Monarchisten, als dass es schon Republikaner in erklecklicher Anzahl gab. Die Darstellung der Republik als des an sich Vernünftigen, Richtigen und Normalen, das der Monarchie als der Inkarnation des Unvernünftigen, Falschen und Anormalen positiv entgegenstehe, weist er somit als historisches Argument in ihre Schranken. „Make the best of it – das ist unsere Aufgabe.“ So prosaisch formulierte der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker, dem Béatrice Bonniot einen einfühlsamen Beitrag widmet, gegenüber einem engen Mitarbeiter Grenzen und Möglichkeiten seines republikanischen Engagements. Otto Geßler ist ein weiterer Repräsentant eines solchen staatsfixierten, verantwortungsethisch untermauerten Vernunftrepublikanismus. Auch Albert Einstein, Fritz Haber und Max Planck – ihrerseits wissenschaftspolitische Aushängeschilder der Weimarer Republik – waren antirepublikanische Ressentiments, wie Margit Szöllösi-Janze zeigt, durchaus nicht fremd: Der 1918 bereits 60-jährige Planck hat sich mit diesem System nie so recht anfreunden können; das DDP-Mitglied Haber liebäugelte mit staatssozialisistischen Anschauungen und schielte nach Italien und Russland; und der Geistesaristokrat Einstein fühlte sich von der Massendemokratie angeekelt. Tatsächlich hatten es die überzeugten Republikaner selbst in den Parteien schwer, die sich auf den Boden der staatlichen Umgestaltung stellten, wie Thomas Hertfelder und Elke Seefried für den Liberalismus, genauer: für den Hilfe-Kreis um Theodor Heuss und Anton Erkelenz, und die Zentrumspartei nachweisen. Spätestens seit 1930 – mit dem Ende der Großen Koalition und dem Funktionsverlust des parlamentarischen Systems – gerieten sie endgültig ins Hintertreffen und machten jenen Politikern Platz, deren Wirken weniger der Staatsform, als dem Staat an sich galt. Der Vernunftrepublikanismus konnte fortan in Parteien und Verbänden kaum mehr auf eine Heimstatt hoffen. In seiner Untersuchung der Politik des Reichsverbandes der deutschen Industrie kommt Wolfram Pyta aber zu dem Schluss, dass die Spitzenvertreter der Wirtschaft durchaus zu einer Mitarbeit mit und im Rahmen der Republik auf dem Boden einer „zweckrationalen Nüchternheit“ bereit waren – auch über das Ende der Großen Koalition hinaus. Sie wussten sehr genau, dass innen- wie außenpolitische Ruhe die Vorbedingung eines wirtschaftlichen Wiederaufstiegs bildete und dass der SPD hierbei eine Schlüsselrolle zufiel. Bis in die Regierungszeit Brünings hinein postulierten Wirtschaftsvertreter wie der zweite Vorsitzende des RDI, Paul Silverberg, die Notwendigkeit einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung. Spannend sind die Beiträge von Rüdiger Graf, Jürgen Eder und Mario Keßler über den „Vernunftrepublikanismus von links“. Die lesenswerten Aufsätze über den Linkssozialisten Heinrich Ströbel, den im Grunde unideologischen Gerechtigkeitsapostel Alfred Döblin und den von der KPD zur SPD, von Anti- zu Vernunftrepublikanismus konvertierten Historiker und Politiker Arthur Rosenberg machen deutlich, dass der Weimarer Staatsordnung nicht nur von rechts, sondern ebenso – und nicht minder – von links Ablehnung und Skepsis entgegenschlugen und dass auch dort ein vorbehaltloses Bekenntnis zur Republik Mangelware blieb. Bis weit in die SPD hinein, stellt Graf zutreffend fest, wurde sie „als unvollkommenes Übergangsprodukt angesehen, das eines Tages in einer sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung überwunden werden würde“. Vor dem Hintergrund dieses Befundes erweist die von Pyta zitierte Mahnung Silverbergs: „Die deutsche Sozialdemokratie muss zur verantwortlichen Mitarbeit heran“, ihre stabilisierende und vernunftrepublikanische Stoßrichtung. Die vorliegende Rezension muss sich auf die erwähnten Beiträge beschränken, ohne aber die verdienstvollen Beiträge von Thomas Meyer, Christoph Gusy und Matthias Wolfes über das Verhältnis von Philosophie, Staatswissenschaft und Protestantismus zu Republik und Parlamentarismus unerwähnt zu lassen. Für sie alle war wohl, wie Wolfes für die evangelische Kirche formuliert, „das Widerspiel zwischen der Kraft tief eingesenkter antidemokratischer Ressentiments und dem ebenfalls fest verankerten Motiv der Loyalität gegenüber dem Staat“ entscheidend. Auch die Aufsätze von Sylke Kirschnick und Sascha Kiefer über die Schriftstellerin Gabriele Tergit und den Herausgeber der „Literarischen Welt“, eines beispiellos pluralistischen Blattes in zerrissener Zeit, Willy Haas helfen, dem Begriff des Vernunftrepublikanismus auf die Spur zu kommen, der allzu lange, wie die Herausgeber meinen, „ein konturloses Schlagwort“ geblieben ist.

Seit Friedrich Meineckes Artikel über „Verfassung und Verwaltung der deutschen Republik“ vom Januar 1919, in dem er gestand, Herzensmonarchist, aber Vernunftrepublikaner zu sein, hat das Schlagwort des „Vernunftrepublikanismus“ politische wie wissenschaftliche Dispute nachhaltig bestimmt, ohne dass eine systematische Klärung des Begriffs bislang in Angriff genommen worden wäre. Dieses Manko zu beheben, ein historisches Phänomen von mehreren Seiten zu beleuchten und ihm hierdurch Tiefenschärfe zu verleihen – dieses Ziel ist dem von Andreas Wirsching und Jürgen Eder herausgegebenen Sammelband über den „Vernunftrepublikanismus in der Weimarer Republik“ gesteckt.

In seinem Beitrag über die wohl prominentesten „Vernunftsrepublikaner“, Gustav Stresemann, Thomas Mann und eben Meinecke selbst, stellt Horst Möller fest, dass es 1919, als Meinecke seinen Artikel schrieb, weniger erstaunlich gewesen sei, dass es noch Monarchisten, als dass es schon Republikaner in erklecklicher Anzahl gab. Die Darstellung der Republik als des an sich Vernünftigen, Richtigen und Normalen, das der Monarchie als der Inkarnation des Unvernünftigen, Falschen und Anormalen positiv entgegenstehe, weist er somit als historisches Argument in ihre Schranken. „Make the best of it – das ist unsere Aufgabe.“ So prosaisch formulierte der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker, dem Béatrice Bonniot einen einfühlsamen Beitrag widmet, gegenüber einem engen Mitarbeiter Grenzen und Möglichkeiten seines republikanischen Engagements. Otto Geßler ist ein weiterer Repräsentant eines solchen staatsfixierten, verantwortungsethisch untermauerten Vernunftrepublikanismus. Auch Albert Einstein, Fritz Haber und Max Planck – ihrerseits wissenschaftspolitische Aushängeschilder der Weimarer Republik – waren antirepublikanische Ressentiments, wie Margit Szöllösi-Janze zeigt, durchaus nicht fremd: Der 1918 bereits 60-jährige Planck hat sich mit diesem System nie so recht anfreunden können; das DDP-Mitglied Haber liebäugelte mit staatssozialisistischen Anschauungen und schielte nach Italien und Russland; und der Geistesaristokrat Einstein fühlte sich von der Massendemokratie angeekelt.

Tatsächlich hatten es die überzeugten Republikaner selbst in den Parteien schwer, die sich auf den Boden der staatlichen Umgestaltung stellten, wie Thomas Hertfelder und Elke Seefried für den Liberalismus, genauer: für den Hilfe-Kreis um Theodor Heuss und Anton Erkelenz, und die Zentrumspartei nachweisen. Spätestens seit 1930 – mit dem Ende der Großen Koalition und dem Funktionsverlust des parlamentarischen Systems – gerieten sie endgültig ins Hintertreffen und machten jenen Politikern Platz, deren Wirken weniger der Staatsform, als dem Staat an sich galt. Der Vernunftrepublikanismus konnte fortan in Parteien und Verbänden kaum mehr auf eine Heimstatt hoffen. In seiner Untersuchung der Politik des Reichsverbandes der deutschen Industrie kommt Wolfram Pyta aber zu dem Schluss, dass die Spitzenvertreter der Wirtschaft durchaus zu einer Mitarbeit mit und im Rahmen der Republik auf dem Boden einer „zweckrationalen Nüchternheit“ bereit waren – auch über das Ende der Großen Koalition hinaus. Sie wussten sehr genau, dass innen- wie außenpolitische Ruhe die Vorbedingung eines wirtschaftlichen Wiederaufstiegs bildete und dass der SPD hierbei eine Schlüsselrolle zufiel. Bis in die Regierungszeit Brünings hinein postulierten Wirtschaftsvertreter wie der zweite Vorsitzende des RDI, Paul Silverberg, die Notwendigkeit einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung.

Spannend sind die Beiträge von Rüdiger Graf, Jürgen Eder und Mario Keßler über den „Vernunftrepublikanismus von links“. Die lesenswerten Aufsätze über den Linkssozialisten Heinrich Ströbel, den im Grunde unideologischen Gerechtigkeitsapostel Alfred Döblin und den von der KPD zur SPD, von Anti- zu Vernunftrepublikanismus konvertierten Historiker und Politiker Arthur Rosenberg machen deutlich, dass der Weimarer Staatsordnung nicht nur von rechts, sondern ebenso – und nicht minder – von links Ablehnung und Skepsis entgegenschlugen und dass auch dort ein vorbehaltloses Bekenntnis zur Republik Mangelware blieb. Bis weit in die SPD hinein, stellt Graf zutreffend fest, wurde sie „als unvollkommenes Übergangsprodukt angesehen, das eines Tages in einer sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung überwunden werden würde“. Vor dem Hintergrund dieses Befundes erweist die von Pyta zitierte Mahnung Silverbergs: „Die deutsche Sozialdemokratie muss zur verantwortlichen Mitarbeit heran“, ihre stabilisierende und vernunftrepublikanische Stoßrichtung.

Die vorliegende Rezension muss sich auf die erwähnten Beiträge beschränken, ohne aber die verdienstvollen Beiträge von Thomas Meyer, Christoph Gusy und Matthias Wolfes über das Verhältnis von Philosophie, Staatswissenschaft und Protestantismus zu Republik und Parlamentarismus unerwähnt zu lassen. Für sie alle war wohl, wie Wolfes für die evangelische Kirche formuliert, „das Widerspiel zwischen der Kraft tief eingesenkter antidemokratischer Ressentiments und dem ebenfalls fest verankerten Motiv der Loyalität gegenüber dem Staat“ entscheidend. Auch die Aufsätze von Sylke Kirschnick und Sascha Kiefer über die Schriftstellerin Gabriele Tergit und den Herausgeber der „Literarischen Welt“, eines beispiellos pluralistischen Blattes in zerrissener Zeit, Willy Haas helfen, dem Begriff des Vernunftrepublikanismus auf die Spur zu kommen, der allzu lange, wie die Herausgeber meinen, „ein konturloses Schlagwort“ geblieben ist.

geschrieben am 22.08.2008 | 723 Wörter | 4809 Zeichen

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