Navigation

Seiten der Rubrik "Bücher"


Google Anzeigen

Anzeigen

Bücher

Gefürchtet und bestaunt.


Statistiken
  • 6324 Aufrufe

Informationen zum Buch
  ISBN
  Autor
  Verlag
  Sprache
  Seiten
  Erscheinungsjahr
  Extras

Rezension von

Hiram Kümper

Gefürchtet und bestaunt. Alterität, die Frage nach der gegenseitigen Konstruiertheit von Eigenem und Anderem, steht heute in den Kulturwissenschaften hoch im Kurs. Das nicht zuletzt auch, weil Integration und Interkulturalität immer dringlichere Fragen unserer Gegenwart werden. Dass dabei Konstruktionen des Eigenen und Fremden immer eine Geschichte haben, sei es eine individuelle, sei es eine kollektive, leuchtet unmittelbar ein. Und wenn nun das Mittelalter, wie es Thomas Nipperdey einmal festgestellt hat, selbst unser „nächstes Fremdes“ sein sollte, macht das die Sache nicht einfacher. Auf knapp 180 Seiten mit einer Reihe von Schwarz/Weiß- und sechzehn Farbabbildungen in bestechender Qualität bietet Meier ein ziemlich buntes Florilegium von Absonderlichkeiten und Abnormitäten, von all dem, was im Mittelalter eben nicht als das „Eigene“ begriffen wurde. „Fremdheit“ ist dabei weit gefasst, meint nicht nur Imaginiertes von Monstren und Antipoden bis zu Hexen und Zauberern, Halbbekanntes von Hunnen und Wikingern zu Mongolen und Muslimen, sondern auch nur allzu Bekanntes, manchmal Alltägliches: Mann und Frau, Häretiker, Unliebsame (z.B. die auf dem Klappentext angesprochenen, aber eigentlich kaum behandelten „Homosexuellen“ – ein Begriff, der für das Mittelalter ja ohnehin an Fraglichkeit nichts zu wünschen übrig lässt) und Juden. Ein breites Spektrum also. Bedenklich scheint in der Umsetzung dieses spannenden Unterfangens das notwendig mit breitem Pinsel gemalte, dafür aber erstaunlich – ja eigentlich: gefährlich – geschlossene Bild, das Meier vom Mittelalter zu zeichnen unternimmt. Dazu tragen sicher auch die ständigen und nur selten anmoderierten Sprünge zwischen den Jahrhunderten und Regionen bei. Und so ist die Darstellung in manchen Passagen, etwa mit Sätzen wie den folgenden, eher dazu angetan, allfällige Stereotype über das Mittelalter zu verfestigen, als zu beleuchten: „Die gebräuchlichste Eheform der patriarchalischen Muntehe kam als Rechtsgeschäft zwischen zwei Familien zustande. Die nicht geschäftsfähige Frau galt dabei als reines Vertragsobjekt. Die Übergabe der Braut erfolgte gegen bare Zahlung des zwischen beiden Parteien ausgehandelten Kaufpreises, der dos.“ (S. 117) Erst im Folgenden schwant – und auch das, möchte ich behaupten, nicht jedem Leser – dunkel, dass sich diese Umschreibung keineswegs auf das gesamte, sondern bestenfalls auf das Frühmittelalter, jedenfalls auf die Zeit vor 1140, vor dem Dekret Gratians, bezieht. Was „bar“ hier bedeuten soll, muss erst gar nicht gefragt werden. Jedenfalls: Das ist Mediävalismus at its best. Dazu beigetragen haben mag auch das ausgewertete Quellenmaterial bzw. die herangezogene Literatur. Eine ganze Reihe der von Meier angeführten Zitate beispielsweise finden sich auch in der selbst für eine populärwissenschaftliche Darstellung in ihren Standards zweifelhaften Darstellung von Maike Vogt-Lüerssen zur „Alltagsgeschichte des Mittelalters“, wenn auch der Band offenbar nirgends im Literaturverzeichnis auftaucht – S. 127 angeblich sei Albertus Magnus der Auffassung gewesen, dass „zuviel Verkehr das Gehirn ausdünnen und zu tiefliegenden und schwachen Augen führen“ könne, ist freilich ein beinahe wörtliches Zitat daraus ohne entsprechende Quellenangabe. Man täte dem Buch unrecht, wollte man es nicht an den eigenen Ansprüchen messen. Die freilich werden an keiner Stelle explizit formuliert; man wird aber natürlich nicht den fachlich fokussierten Leser, auch nicht den Studierenden, sondern den eher am Unterhaltungswert des Mittelalters interessierten Leser vermuten. Und der bekommt ohne Frage etwas geboten. Besonders die Ausführungen Meiers zur mittelalterlichen Sexualität, die freilich die eigentliche Frage nach dem „Fremden“ ziemlich weit verlassen und eher das „Fremde“ gegenüber späteren, nämlich einer „bürgerliche[n] Spießigkeit“ (S. 132) und moderner, implizit freiheitlicherer Sexualitäten, als Referenzpunkt aufmachen, haben höchsten Unterhaltungswert – wenn auch oft wenig mit dem gegenwärtigen Stand mediävistischer Sexualitätsgeschichte und Genderforschung zu tun. Meiers flüssiger Stil und die gekonnte Einbindung der kürzeren Quellenabschnitte tragen insgesamt zur Lesbarkeit bei; die Kapitel sind sauber aneinander angebunden, alle Zitate übersetzt und gut verständlich. Damit liegt ein literarisch sauberes, gut lesbares Buch für alle freizeitmäßig Mittelalterinteressierten vor – aber eben nur für die, die’s nicht zu genau wissen wollen.

Alterität, die Frage nach der gegenseitigen Konstruiertheit von Eigenem und Anderem, steht heute in den Kulturwissenschaften hoch im Kurs. Das nicht zuletzt auch, weil Integration und Interkulturalität immer dringlichere Fragen unserer Gegenwart werden. Dass dabei Konstruktionen des Eigenen und Fremden immer eine Geschichte haben, sei es eine individuelle, sei es eine kollektive, leuchtet unmittelbar ein. Und wenn nun das Mittelalter, wie es Thomas Nipperdey einmal festgestellt hat, selbst unser „nächstes Fremdes“ sein sollte, macht das die Sache nicht einfacher.

weitere Rezensionen von Hiram Kümper


Auf knapp 180 Seiten mit einer Reihe von Schwarz/Weiß- und sechzehn Farbabbildungen in bestechender Qualität bietet Meier ein ziemlich buntes Florilegium von Absonderlichkeiten und Abnormitäten, von all dem, was im Mittelalter eben nicht als das „Eigene“ begriffen wurde. „Fremdheit“ ist dabei weit gefasst, meint nicht nur Imaginiertes von Monstren und Antipoden bis zu Hexen und Zauberern, Halbbekanntes von Hunnen und Wikingern zu Mongolen und Muslimen, sondern auch nur allzu Bekanntes, manchmal Alltägliches: Mann und Frau, Häretiker, Unliebsame (z.B. die auf dem Klappentext angesprochenen, aber eigentlich kaum behandelten „Homosexuellen“ – ein Begriff, der für das Mittelalter ja ohnehin an Fraglichkeit nichts zu wünschen übrig lässt) und Juden. Ein breites Spektrum also.

Bedenklich scheint in der Umsetzung dieses spannenden Unterfangens das notwendig mit breitem Pinsel gemalte, dafür aber erstaunlich – ja eigentlich: gefährlich – geschlossene Bild, das Meier vom Mittelalter zu zeichnen unternimmt. Dazu tragen sicher auch die ständigen und nur selten anmoderierten Sprünge zwischen den Jahrhunderten und Regionen bei. Und so ist die Darstellung in manchen Passagen, etwa mit Sätzen wie den folgenden, eher dazu angetan, allfällige Stereotype über das Mittelalter zu verfestigen, als zu beleuchten: „Die gebräuchlichste Eheform der patriarchalischen Muntehe kam als Rechtsgeschäft zwischen zwei Familien zustande. Die nicht geschäftsfähige Frau galt dabei als reines Vertragsobjekt. Die Übergabe der Braut erfolgte gegen bare Zahlung des zwischen beiden Parteien ausgehandelten Kaufpreises, der dos.“ (S. 117) Erst im Folgenden schwant – und auch das, möchte ich behaupten, nicht jedem Leser – dunkel, dass sich diese Umschreibung keineswegs auf das gesamte, sondern bestenfalls auf das Frühmittelalter, jedenfalls auf die Zeit vor 1140, vor dem Dekret Gratians, bezieht. Was „bar“ hier bedeuten soll, muss erst gar nicht gefragt werden. Jedenfalls: Das ist Mediävalismus at its best.

Dazu beigetragen haben mag auch das ausgewertete Quellenmaterial bzw. die herangezogene Literatur. Eine ganze Reihe der von Meier angeführten Zitate beispielsweise finden sich auch in der selbst für eine populärwissenschaftliche Darstellung in ihren Standards zweifelhaften Darstellung von Maike Vogt-Lüerssen zur „Alltagsgeschichte des Mittelalters“, wenn auch der Band offenbar nirgends im Literaturverzeichnis auftaucht – S. 127 angeblich sei Albertus Magnus der Auffassung gewesen, dass „zuviel Verkehr das Gehirn ausdünnen und zu tiefliegenden und schwachen Augen führen“ könne, ist freilich ein beinahe wörtliches Zitat daraus ohne entsprechende Quellenangabe.

Man täte dem Buch unrecht, wollte man es nicht an den eigenen Ansprüchen messen. Die freilich werden an keiner Stelle explizit formuliert; man wird aber natürlich nicht den fachlich fokussierten Leser, auch nicht den Studierenden, sondern den eher am Unterhaltungswert des Mittelalters interessierten Leser vermuten. Und der bekommt ohne Frage etwas geboten. Besonders die Ausführungen Meiers zur mittelalterlichen Sexualität, die freilich die eigentliche Frage nach dem „Fremden“ ziemlich weit verlassen und eher das „Fremde“ gegenüber späteren, nämlich einer „bürgerliche[n] Spießigkeit“ (S. 132) und moderner, implizit freiheitlicherer Sexualitäten, als Referenzpunkt aufmachen, haben höchsten Unterhaltungswert – wenn auch oft wenig mit dem gegenwärtigen Stand mediävistischer Sexualitätsgeschichte und Genderforschung zu tun. Meiers flüssiger Stil und die gekonnte Einbindung der kürzeren Quellenabschnitte tragen insgesamt zur Lesbarkeit bei; die Kapitel sind sauber aneinander angebunden, alle Zitate übersetzt und gut verständlich. Damit liegt ein literarisch sauberes, gut lesbares Buch für alle freizeitmäßig Mittelalterinteressierten vor – aber eben nur für die, die’s nicht zu genau wissen wollen.

geschrieben am 13.07.2009 | 608 Wörter | 3838 Zeichen

Kommentare lesen Kommentar schreiben

Kommentare zur Rezension (0)

Platz für Anregungen und Ergänzungen