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Hoch unten. Das Triviale in der Hochkultur


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Hoch unten. Das Triviale in der Hochkultur Der Mensch teilt die Welt ein. Alles muss systematisiert werden. Soll in eine Schublade passen. Dieser gewisse Kontrollzwang ist eine Folge der Angst des Menschen. Der Angst vorm Leben. Vorm Fremden, Unbekannten. Diesem Willen zur Schubladisierung der Welt hat die Menschheit so grandiose Erfindungen zu verdanken wie die von E- und U-Musik. (Nein, U-Musik ist nicht die, die in der U-Bahn feilgeboten wird.) Eine andere schlaue Unterteilung ist die zwischen Hochkultur und dem Trivialen. Joachim Kalka ist ein Fan der als triviale Literatur verunglimpften. In seinem Buch »Hoch unten« setzt er sich für sie ein. Die einzelnen Essays behandeln so Unterschiedliches wie Jack The Ripper, Dagobert Duck und seine Verwandten, Krazy Kat, Aliens oder die Abgründe im »Wunderhorn«. Die Stücke sind literarisch-geistige Flanerien. Sie beanspruchen nichts und haben dabei Anspruch. Geistvoll sind sie gerade deshalb, weil ihr frecher Autor nicht in einem definierten Themenrahmen stehenbleibt. Dagegen hüpft er gedanklich-spielerisch über all das, was ihm dazu einfällt. Keines der Stichworte wird so abgehandelt, wie man es erwarten könnte. Wie man es schon irgendwo – und sei es noch so abgelegen – gelesen hat. Kalkas Intention ist eine gewisse Verteidigung des als simpel Denunzierten. Vielleicht ist dies das vereinigende Dach über den zuvor in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten Texten: »Daß der Eskapismus (also das Bedürfnis, sich einer unangenehmen Gegenwart eine Zeitlang durch das Versinken in einer Narration zu entziehen) verwerflich sein soll, habe ich nie begriffen. Abgesehen davon hängen die dem Eskapismus zuarbeitenden Erzählformen mit einem so verzweigten Gefühlsgeflecht an den Widersprüchen des Lebens, daß jede Flucht wieder auf dem alten Schlachtfeld enden wird. Die Trostbilder eines guten Mordes, einer komisch orchestrierten Katastrophe oder einer ungeheuerlichen Bedrohung unseres Universums – sie zielen, das ist wahr, auf eine sehr unmittelbare Befriedigung starker Gefühle und unveränderlicher Erwartungen.« »Trotzdem, stimmt Kalka den Leser in seinem Vorwort ein, »sind sie von Reflexion nicht rigide getrennt; wie könnten Unheimlichkeit und Komik dies für einen Leser sein?« Der in Stuttgart lebende Übersetzer und Autor plädiert dafür, auf Comics, Phantastik und Science-fiction den Bloch’schen Begriff der Kolportage zu übertragen. Denn auch bei diesen Formen sei der Leser animiert, seine bisherigen Denkgewohnheiten zu realisieren und dann entsprechend infrage zu stellen. In dem Traktat mit dem Titel »Pas de deux des Neides. Donald Duck und Gustav Gans« geht es nur auf den ersten Blick um die Comichelden von Walt Disney. Fulminant erklärt uns Comicleser Kalka, was aus den bunten Heftchen unserer Kindertage zu lernen gewesen wäre. »Das systematische Studium jener starken Gefühle, die man einst Todsünden nannte, findet ein günstig gelegenes Laboratorium in einem Gemeinwesen, bei dem die Möglichkeiten der teilnehmenden Beobachtung noch längst nicht ausgeschöpft sind: in Entenhausen.« Hier könne man die Gesellschaft und menschliche Charaktere aufs Anschaulichste studieren. Der Geiz trete einem in der Person des Dagobert Duck entgegen, Zorn und Faulheit bei Donald. So seziert Kalka die gezeichneten Enten mit ihren menschlichen Zügen, und wir verlieren das schlechte Gewissen, heute unsere Kinder die Hefte lesen zu sehen. Zu loben ist übrigens, dass der so kleine wie edle Berliner Berenberg Verlag mit seinem individualistischen Programm den fatalen Unsinn der sogenannten Rechtschreibreform nicht mitmacht. Wie bei Berenberg üblich, ist das Buch optisch sehr ansprechend und hochwertig gestaltet. Die hochwertige Bindung ist mit einem Halbleinen-Einband kombiniert. Er hält Papier zusammen, das mit seinem dezenten Beige-Glanz das Auge beim Lesen angenehm umschmeichelt. Das Lieblingsstück des Rezensenten ist jenes über die Bibliothek: »privater Kosmos, ideale Schlaflosigkeit«. Der Autor schafft eine Atmosphäre des Bibliophilen, der Bibliomanie. Schön zu lesen ist der Zusammenhang zwischen der Privatbibliothek und dem Immer-wieder-Lesen von ein und demselben Buch. Das, was man liebt, wolle man immer wieder haben. Nicht nur die Entdeckung, also das erste Mal, sei faszinierend, sondern auch Rückkehr und Wiederholung. »Aus der Wiederholung geht das Lernen hervor, sie ist die Mutter der Studien. Sie ist aber auch aufs engste mit dem Genuß verwandt, denn einen bedeutenden Text nicht nur zu lesen, sondern wiederzulesen, heißt den schärferen Blick genießen, die Optik des Eingeweihten, das Ohr für zunächst überhörte Schwebungen in den Dialogen, die sich nähernde Begegnung mit ‚schönen Stellen’ wie in einer Landschaft, in der man schon einmal gewesen ist.« Deshalb sei die eigene Bibliothek vielleicht der Versammlungsort all dessen, was man wiederlesen möchte. Dies kleine Büchlein von Joachim Kalka zählen wir ab heute dazu.

Der Mensch teilt die Welt ein. Alles muss systematisiert werden. Soll in eine Schublade passen. Dieser gewisse Kontrollzwang ist eine Folge der Angst des Menschen. Der Angst vorm Leben. Vorm Fremden, Unbekannten. Diesem Willen zur Schubladisierung der Welt hat die Menschheit so grandiose Erfindungen zu verdanken wie die von E- und U-Musik. (Nein, U-Musik ist nicht die, die in der U-Bahn feilgeboten wird.) Eine andere schlaue Unterteilung ist die zwischen Hochkultur und dem Trivialen.

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Joachim Kalka ist ein Fan der als triviale Literatur verunglimpften. In seinem Buch »Hoch unten« setzt er sich für sie ein. Die einzelnen Essays behandeln so Unterschiedliches wie Jack The Ripper, Dagobert Duck und seine Verwandten, Krazy Kat, Aliens oder die Abgründe im »Wunderhorn«. Die Stücke sind literarisch-geistige Flanerien. Sie beanspruchen nichts und haben dabei Anspruch. Geistvoll sind sie gerade deshalb, weil ihr frecher Autor nicht in einem definierten Themenrahmen stehenbleibt. Dagegen hüpft er gedanklich-spielerisch über all das, was ihm dazu einfällt. Keines der Stichworte wird so abgehandelt, wie man es erwarten könnte. Wie man es schon irgendwo – und sei es noch so abgelegen – gelesen hat.

Kalkas Intention ist eine gewisse Verteidigung des als simpel Denunzierten. Vielleicht ist dies das vereinigende Dach über den zuvor in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten Texten: »Daß der Eskapismus (also das Bedürfnis, sich einer unangenehmen Gegenwart eine Zeitlang durch das Versinken in einer Narration zu entziehen) verwerflich sein soll, habe ich nie begriffen. Abgesehen davon hängen die dem Eskapismus zuarbeitenden Erzählformen mit einem so verzweigten Gefühlsgeflecht an den Widersprüchen des Lebens, daß jede Flucht wieder auf dem alten Schlachtfeld enden wird. Die Trostbilder eines guten Mordes, einer komisch orchestrierten Katastrophe oder einer ungeheuerlichen Bedrohung unseres Universums – sie zielen, das ist wahr, auf eine sehr unmittelbare Befriedigung starker Gefühle und unveränderlicher Erwartungen.« »Trotzdem, stimmt Kalka den Leser in seinem Vorwort ein, »sind sie von Reflexion nicht rigide getrennt; wie könnten Unheimlichkeit und Komik dies für einen Leser sein?« Der in Stuttgart lebende Übersetzer und Autor plädiert dafür, auf Comics, Phantastik und Science-fiction den Bloch’schen Begriff der Kolportage zu übertragen. Denn auch bei diesen Formen sei der Leser animiert, seine bisherigen Denkgewohnheiten zu realisieren und dann entsprechend infrage zu stellen.

In dem Traktat mit dem Titel »Pas de deux des Neides. Donald Duck und Gustav Gans« geht es nur auf den ersten Blick um die Comichelden von Walt Disney. Fulminant erklärt uns Comicleser Kalka, was aus den bunten Heftchen unserer Kindertage zu lernen gewesen wäre. »Das systematische Studium jener starken Gefühle, die man einst Todsünden nannte, findet ein günstig gelegenes Laboratorium in einem Gemeinwesen, bei dem die Möglichkeiten der teilnehmenden Beobachtung noch längst nicht ausgeschöpft sind: in Entenhausen.« Hier könne man die Gesellschaft und menschliche Charaktere aufs Anschaulichste studieren. Der Geiz trete einem in der Person des Dagobert Duck entgegen, Zorn und Faulheit bei Donald. So seziert Kalka die gezeichneten Enten mit ihren menschlichen Zügen, und wir verlieren das schlechte Gewissen, heute unsere Kinder die Hefte lesen zu sehen.

Zu loben ist übrigens, dass der so kleine wie edle Berliner Berenberg Verlag mit seinem individualistischen Programm den fatalen Unsinn der sogenannten Rechtschreibreform nicht mitmacht. Wie bei Berenberg üblich, ist das Buch optisch sehr ansprechend und hochwertig gestaltet. Die hochwertige Bindung ist mit einem Halbleinen-Einband kombiniert. Er hält Papier zusammen, das mit seinem dezenten Beige-Glanz das Auge beim Lesen angenehm umschmeichelt.

Das Lieblingsstück des Rezensenten ist jenes über die Bibliothek: »privater Kosmos, ideale Schlaflosigkeit«. Der Autor schafft eine Atmosphäre des Bibliophilen, der Bibliomanie. Schön zu lesen ist der Zusammenhang zwischen der Privatbibliothek und dem Immer-wieder-Lesen von ein und demselben Buch. Das, was man liebt, wolle man immer wieder haben. Nicht nur die Entdeckung, also das erste Mal, sei faszinierend, sondern auch Rückkehr und Wiederholung. »Aus der Wiederholung geht das Lernen hervor, sie ist die Mutter der Studien. Sie ist aber auch aufs engste mit dem Genuß verwandt, denn einen bedeutenden Text nicht nur zu lesen, sondern wiederzulesen, heißt den schärferen Blick genießen, die Optik des Eingeweihten, das Ohr für zunächst überhörte Schwebungen in den Dialogen, die sich nähernde Begegnung mit ‚schönen Stellen’ wie in einer Landschaft, in der man schon einmal gewesen ist.«

Deshalb sei die eigene Bibliothek vielleicht der Versammlungsort all dessen, was man wiederlesen möchte. Dies kleine Büchlein von Joachim Kalka zählen wir ab heute dazu.

geschrieben am 17.10.2008 | 707 Wörter | 4179 Zeichen

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